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Chapeau!

Im „Chapoclac“ gibt’s nachhaltige Design-„Erbstücke“ – Vom Zeitgeist abgekoppelt

Beim ersten Mal ist man noch irritiert. Ziemlich irritiert. Rudolf Eder hört sich aufmerksam an, was sich der Kunde in etwa vorstellt, schaut ihn prüfend an, nimmt in Gedanken Maß, schnappt sich von einem Bügel ein Sakko, 55 Prozent Leinen, 45 Prozent Seide, und wirft es mit leichter Hand und elegantem Schwung – vor dem Kunden auf den Boden. 55 Prozent Leinen, 45 Prozent Seide. Auf den Boden. Gut, der glänzt, ist augenscheinlich sauber. Aber trotzdem. Bevor man die Gelegenheit nutzen kann zu intervenieren oder zumindest nachzufragen, greift Rudolf Eder mit verschmitztem Blick zum nächsten Bügel, schnappt sich das nächste Sakko – und wieder landet es zu Füßen des Kunden. Dazu eine Hose, noch eine. Das passende Hemd, 100 Prozent Baumwolle, auf den Boden damit. Wenn ein Teil mal nicht perfekt landet, bückt er sich und legt den Ärmel, das Hosenbein, den Kragen zurecht. Ein Pullover, 100 Prozent Schurwolle, Merino extrafein. Auf den Boden. Es dauert keine fünf Minuten und der Kunde steht im Zentrum eines Halbkreises aus Designerklamotten.

Sehr geschickt, was Rudolf Eder da macht. Die Hemmschwelle, in seinem „Chapoclac“ am Maxplatz einzukaufen, ist für viele relativ hoch. Das liegt zum einen an den Preisen und zum anderen an den Artikeln. Allein die Bezeichnung „Designermode“ schreckt viele ab, weil sie die Bilder von Pariser und Mailänder Laufstegen im Kopf haben, wo Hungerhaken Klamotten vorführen, mit denen sich die Schönen, die Reichen und die, die sich dafür halten, vielleicht auf der Promenade de la Croi-
sette oder auf dem Hollywood Boulevard blicken lassen können. Aber in Zentralsüdostoberbayern? Doch es ist wie immer: Es gibt solche und solche, das gilt auch für Designerklamotten. Rudolf Eder führt eher solche. Vor denen man spätestens die Scheu verliert, wenn er sie erst einmal auf den „Chapoclac“-Boden fallen lassen hat.

„Wenn Kunden etwas anprobiert haben, kommt immer wieder: ,Mir würd’s ja gefallen, aber kann ich das denn anziehen? Was sagen die Kinder, die Nachbarn, die Verwandten, wenn ich mit so etwas aufkreuze?‘“ Eine Angst, die Rudolf Eder den Kunden nehmen will. „Wichtig ist zuallererst einmal, dass einem die Kleidung selbst gefällt und taugt.“ Den Ansatz lebt der Ladeninhaber natürlich mit außerordentlich lässigem und gleichzeitig edlem Chic vor, Tag für Tag – mit dem Effekt, dass man ihm seine 67 Lebensjahre nicht ansieht.

Rudolf Eder im "Chapoclac" in Traunstein.
Kein Schnickschnack

Mit dem „Chapoclac“ sind Rudolf Eder und seine Frau Pauline inzwischen in der fünften Auflage. Zwei Mal sind sie in Freilassing umgezogen, einmal in Traunstein, von einem ehemaligen Kiosk am Stadtplatz an den Maxplatz. Dabei ist das „Chapoclac“ langsam und organisch gewachsen, ursprünglich war’s gerade mal 25 Quadratmeter klein. Das Ladenlokal am Maxplatz dagegen wirkt weitläufig. Das liegt aber auch daran, dass es nicht überladen ist. Zwei lange Regalreihen aus massiven Holzplanken, auf denen Hemden und Pullover gestapelt liegen. An der Decke sind in drei exakt geraden Reihen in exakt gleichen Abständen Ketten befestigt, an denen die Bügel und Fleischerhaken für Kleider, Jacken, Anzüge und Mäntel hängen. Zwei Schaufensterpuppen, eine Sitzecke, ein verspiegelter Kassentresen, zwei Garderoben, zwei Spiegel und ein Kleiderständer komplettieren die Einrichtung. Kein Schnickschnack. Die Wände sind in verschiedenen Grautönen gehalten. Alles, was zu viel sein könnte, hat Rudolf Eder weggelassen. Seine Geschäfte hat der gelernte Schaufensterdekorateur immer selbst gestaltet. So schafft er seiner Mode eine Bühne, auf der sie wirken kann. Ohne Ablenkung. Klar und deutlich.

Von den Anfängen im Jahr 1976 an setzen die Eders auf Qualität und Komfort. Der allergrößte Teil des „Chapoclac“-Sortiments besteht aus natürlichen Materialien – Leinen, Seide, Baumwolle, Leder – und die wurden in der Regel nachhaltig erzeugt. „Die meisten Marken, die wir führen, begleiten wir schon seit deren Gründung. Wir haben uns immer sehr genau angeschaut, ob ihre Kollektionen unseren Vorstellungen entsprechen, ob sie zu uns passen.“

Für Rudolf Eder war schon früh klar: „Ich möchte ins Modegeschäft.“ Ein Selbstläufer war das natürlich nicht. Der Vater des Kirchanschöringers hatte eine Spedition – und er hätte als ältester Sohn das Geschäft übernehmen sollen. Deshalb trat er bei einer großen Spedition seine Lehre an. Um sie nach dem ersten Tag zu schmeißen. „Ich hab sofort gemerkt: Das ist gar nichts für mich.“ Stattdessen machte er eine Ausbildung zum Schaufenstergestalter. In München, wo er die Berufsschule besuchte, kam er mit der Mode, wie er sie sich vorstellte, in Kontakt: „Ich hab dann immer in zwei, drei Boutiquen in München eingekauft, zum Beispiel im ,Micmac‘ von Gunter Sachs.“ Jetzt muss Rudolf Eder selber schmunzeln: „,Immer‘ ist gut. Als Lehrling hast du nicht viel verdient. Ich hab mir halt im ersten Halbjahr ein Hemd gekauft und im zweiten, wenn ich wieder genug zusammengespart hatte, eine Hose.“

Unorthodoxer Ansatz

Dass es „seine“ Mode nur in München geben sollte, das wollte Rudolf Eder so nicht hinnehmen. 1976 fand er in Freilassing den 25-Quadratmeter-Laden, mit dem er seinen Traum von der eigenen Boutique verwirklichen konnte. Seinen damaligen Sprung in die Selbstständigkeit jenseits seines eigentlichen Ausbildungsberufs sieht er nicht als Wagnis: „Ich bin an die Geschichte eher unorthodox rangegangen. Von meinen Eltern habe ich mir 5000 Mark als Anschubfinanzierung geliehen. Mit dem Geld musste ich auskommen. Ich habe damit Ware eingekauft, sie verkauft und mit dem eingenommenen Geld das Darlehen zurückgezahlt und wieder neue Ware eingekauft. Ich wollte keine Schulden haben.“

Wer in dieser Branche so agiert, der muss ausgetretene Pfade verlassen. Das Modegeschäft ist schnelllebig, Trends, Materialien, Schnitte und Farben des letzten Jahres sind heute schon wieder Asbach uralt. Das ewige Rattenrennen um den letzten Schrei, der schon in der nächsten Saison kraftlos in den Tiefen der Wühltische verhallt, wollten Rudolf und Pauline Eder nicht mitrennen. Den heißen Scheiß heute teuer einzukaufen, um ihm, wenn er dann doch nicht den reißenden Absatz findet, dabei zuzuschauen, wie er immer mehr abkühlt, und ihn übermorgen im Schlussverkauf billig zu verschleudern? Sicher nicht.

Die Eders definierten Qualitätskriterien und schufen sich so ihre Nische. Angenehm zu tragende, natürliche Stoffe, extravagante Schnitte, ohne dabei kurzlebigen Trends hinterherzuhecheln. „Der Zyklus der Mode, wie wir sie verstehen und anbieten, ändert sich alle fünf, sechs Jahre.“ Das heißt: So ein Teil könnte schon mal fünf, sechs Jahre im Laden liegen und hätte trotzdem noch die Chance, einen modebewussten Käufer zu begeistern. „Wenn sich ein neuer Stil etwas schleppend verkauft, dann sind wir damit immer zu früh dran, nie zu spät.“ Irgendwann zündet’s schon. Wenn im Herbst 2018 Wickelblusen trendy werden, kann man davon ausgehen, dass es sie im „Chapoclac“ schon vor drei, vier Jahren zu kaufen gab.

Das "Chapoclac" in Traunstein.
Kleidung statt nur Mode

Die Labels, die im „Chapoclac“ angeboten werden, müssen die Ederschen Bedingungen erfüllen. Deshalb sucht man sie in den meisten Modehäusern vergebens: Hannes Roether aus München, Rundholz aus Wachtendonk, Imperial aus Bologna. Gerade Hannes Roether passt mit seinem Programm ideal ins „Chapoclac“. Der Freiburger Designer, der sein Label 2005 in München gründete, will Kleidung machen und keine Mode. Als Ziel hat er formuliert, „Erbstücke zu produzieren“. Der Stil ist lässig, aber nicht nachlässig. Schlichte Eleganz und der Mut, anders zu sein, zeichnen auch die Rundholz- und Imperial-Kollektionen aus.

Ein weiterer Anspruch, den Rudolf Eder an seine Marken stellt: Sie müssen eine eindeutige, wiedererkennbare Handschrift haben. Diese Kontinuität ist bei großen Labels oft nicht mehr gegeben. „Früher hatten die meisten Marken fest angestellte Designer. Die sind teuer. Unter dem Spardiktat wurden diese Stellen in den letzten Jahren gestrichen und outgesourct. Design wird zugekauft, oft von Saison zu Saison.“ Handschrift? Fehlanzeige. Und damit sind sie fürs „Chapoclac“ nicht qualifiziert.
Stellschrauben, an denen der Produzent drehen kann, um Kosten zu minimieren, sind außerdem die Produktqualität und der Produktionsstandort. Seine Nische kann Rudolf Eder nur aufrechterhalten, wenn seine Produzenten die ihre ebenso gewissenhaft ausfüllen. Und deshalb auch die Konzentration auf seine Stammmarken. Die haben sich konsequent zur Nachhaltigkeit verpflichtet. Diese Unternehmen versuchen, jedes für sich, einen natürlichen Look mit Manufaktur-Charakter zu gestalten. Das funktioniert am besten mit natürlichen Materialien aus nachhaltiger Produktion. Allen „Chapoclac“-Kleidungsstücken ist gemein, dass sie nicht in Fernost hergestellt werden. „Chapoclac“-Mode ist keine Massenware, sie wird in kleinen Stückzahlen aufwändig, wertig und mit einem entsprechenden Lohnkostenaufwand produziert, manches in Deutschland, vieles in Italien, aber alles in Europa.

Natürlich und fair

Damit wäre das „Chapoclac“ ja eigentlich das Musterbeispiel für ein Fairtrade-Geschäft. Doch bei dieser Initiative – Traunstein ist seit 7. Februar 2017 „Fairtrade-Stadt“ – macht Rudolf Eder bewusst nicht mit. Dass die Fairtrade-Bewegung sinnvoll ist und ihre Berechtigung hat, weil das Thema erst einmal in die Köpfe der Verbraucher muss, stellt er gar nicht in Abrede. Aber die Gefahr, dass er mit einer Teilnahme sein Alleinstellungsmerkmal womöglich verwässern würde, sieht er halt auch: „Als damals Partner geworben wurden, habe ich mir sehr genau die Liste der Unterstützer angeschaut. Da sind Discounter dabei, die nicht unbedingt dafür bekannt sind, besonders fair zu ihren Lieferanten zu sein. Da sind Geschäfte dabei, die vorwiegend Waren verkaufen, die unter unwürdigen Bedingungen in Bangladesch hergestellt wurden.“ So verkomme das Fairtrade-Siegel oft zum Feigenblatt, das tatsächliche Missstände nur notdürftig verdeckt. „Wir brauchen uns nicht grün anzustreichen. Bei uns gibt’s ausschließlich hochwertige Ware, die unter fairen Bedingungen produziert wurde. Das wissen unsere Kunden, deshalb kommen sie zu uns.“

Rudolf Eder setzt auf nachhaltige Mode mit eindeutiger Handschrift.

Wer in Betracht zieht, dass die Kleidung aus nachhaltig erzeugten Rohstoffen von Menschen hergestellt wurde, die dafür ordentlich bezahlt wurden, der ist – sofern er sich das leisten kann – bereit, etwas tiefer in die Tasche zu greifen. Wenn er dafür auch noch Mode bekommt, die zugleich extravagant und qualitativ hochwertig ist – umso besser. Die „Chapoclac“-Marken sind aus dem Gegentrend zum Hochgeschwindigkeitskonsum gewachsen und gehören eher einer modisch-umweltbewussten Subkultur an. Das ist nicht massentauglich und nicht zeitgeistig. Und durchaus im Sinne Eders: „Wenn du was machst, was nicht den Zeitgeist widerspiegelt, dann hält’s auch oft viel länger.“ Das Hannes-Roether-Leitbild, „Erbstücke“ produzieren zu wollen, gibt dem abstrakten Nachhaltigkeitsgedanken ein konkretes Bild. Kleidung, die man über Jahre tragen kann, weil sie chic ist und bleibt, weil sie hält und weil sie nie unmodern aussieht, darf auch mehr kosten. Weil man dadurch ja die Kauffrequenz senken kann. „Der Preis ist dann nicht mehr das große Argument.“

Onlinehandel? Kommt nicht infrage

Zeitgeist. Wie weit Rudolf und Pauline Eder ihr „Chapoclac“, ihre Mode vom Zeitgeist abgekoppelt haben, merkt man, wenn man die „Chapoclac“-Homepage besuchen will. Die existiert nämlich nicht. „Die angeforderte Domain ist nicht verfügbar“, heißt es da. „Die Internet-adresse hat mir vor zehn, 15 Jahren ein Kunde gesichert, weil er meinte, wir müssten unbedingt dabei sein.“ Davon war und ist Rudolf Eder nicht überzeugt. Ein Onlineshop kommt für ihn nicht infrage. „Wer bei uns einkauft, will Stoffe fühlen, die tatsächlichen Farben sehen, will sichergehen, dass das Kleidungsstück auch passt.“

Gerade für stationäre Modegeschäfte hat sich der Onlinehandel als äußerst schwieriges Thema herausgestellt. So gesehen hat Rudolf Eder mit seiner frühzeitigen Entscheidung gegen den Onlinehandel alles richtig gemacht. Nach einer aktuellen Studie des EHI-Instituts werden inzwischen mehr als 50 Prozent der im Internet bestellten Textilien zurückgeschickt. Die Retouren verursachen einen hohen Kosten- und Zeitaufwand: Der Händler bezahlt in der Regel Versand und Abwicklung in beide Versandrichtungen, dazu kommen Auspacken, Warenkontrolle, Neuverpacken und Lagerhaltung. Die Studie ergab zudem, dass nur etwa 70 Prozent der befragten Händler die zurückgeschickte Ware erneut anbieten können, weil die Artikel teils „qualitativ so sehr beeinträchtigt“ seien, dass sie nicht mehr verkauft werden können. Der Schaden für einen Einzelhändler, der sich auf Designermode spezialisiert hat, wäre ungleich höher als für jemanden, der Mode von der Stange verkauft.

Und so kommt es, dass Rudolf Eder Kleider, Hosen, Jacken, T-Shirts, Blusen, Anzüge, Röcke, Schuhe nicht im Internet anbietet, sondern weiter im „Chapoclac“ mit elegantem Schwung zu Boden fallen lässt. Wenn der 290-Euro-Pullover, 100 Prozent reine Merino-Schurwolle, Made in Germany von Hannes Roether zu Füßen des Kunden landet, kann er sicher sein: Das gute Stück hält das aus.

Text & Fotos: Andreas Falkinger

Chapoclac

Ludwigstraße 2
83278 Traunstein
Tel. 0 861/9 09 74 28
Öffnungszeiten:
Montag bis Freitag: 11 bis 18 Uhr
Samstag: 10 bis 16 Uhr